Warum? Mehr wissen


Wir leben in einer Gesellschaft, die in die Materie hineinschaut, bis sie den Raum zwischen den Atomen sieht. Die ins All hinausschaut, bis sie Vermutungen über den Abstand zwischen Universen anstellt. Wir haben fast jede Stelle der Meere kartographiert und jede Höhenlinie der Berge verzeichnet.
Doch bei all der Erforschung des Fernen scheint es so, als hätten wir vergessen zu erkunden, was uns am allernächsten ist - einen Teil des Körpers, spezifischer:
die Vulva.



Die Vulva ist ins Exil geraten. Jahrhundertelang wurde sie von patriarchalen und religiösen Gesellschaften als Bedrohung wahrgenommen und mit Scham markiert, bis sie schließlich unsichtbar geworden ist. Hast du eine genaue Vorstellung davon, wie Vulven aussehen? Wärst du in der Lage eine Vulva, mit allem, was dazugehört, grob zu skizzieren? Ganz so, als wäre sie ein gewöhnlicher Körperteil, wie z.B. eine Hand? Selbst die Wissenschaft tut sich damit schwer. Bis heute lassen die meisten Aufklärungsbücher eine präzise Abbildung der Vulva einfach aus und begnügen sich mit der Darstellung der zum Gebären benötigten Organe. Das äußere weibliche* Geschlechtsorgan erscheint in vielen Köpfen gar nicht, nur verschwommen oder so, wie es in der Mainstream-Pornografie dargestellt wird: Eine unbehaarte Vulva mit gleichmäßigen und schmalen inneren Vulvalippen. Sie hat keinen ausgeprägten Klitorismantel, keine Pigmentschattierungen und keine Falten. Sie blutet nicht und sie ist straff und narbenlos, als hätte sie nie geboren. Es ist das Bild einer kindlichen Vulva, das so gesellschaftlich idealisiert und reproduziert wird.

Die Vorstellung einer “normalen” Vulva hat sich in den Köpfen festgesetzt. So sehr, dass sich immer mehr Menschen für einen plastisch-chirurgischen Eingriff an der Vulva entscheiden. Am gefragtesten ist dabei die Labioplastik, bei der Teile der inneren Vulvalippen abgeschnitten werden. Auch beliebt sind die Straffung der äußeren Vulvalippen und des Klitorisschafts, das Aufspritzen von G-Punkt und Venushügel, die Verengung des Vaginaeingangs und das Anpassen der Pigmentschattierungen. Die “Norm” an der sich die plastische Chirurgie dabei orientiert, wurde ironischerweise ohne wissenschaftliche Grundlagen von der plastischen Chirurgie selbst festgelegt und propagiert.

Erst 2018 wurde die erste große Studie zur Diversität der Vulva durchgeführt. Das Ergebnis: Das reale Erscheinungsbild der Vulva ist geprägt von einer enormen Vielfalt. Keine Vulva gleicht der anderen und ist selbst in sich unsymmetrisch und je nach Alter, hormoneller Phase, gesundheitlichem Zustand und Erektion verschieden anzutreffen. Um selbst entscheiden zu können, was schön und richtig ist, um Sexualität und Selbstliebe grenzenlos zu erleben und vor Fremdbestimmung zu schützen, braucht es echte Einblicke und fundiertes Wissen. Vulvaversity möchte dazu beitragen und die Vulva in all ihren Facetten feiern!

Richtig benennen

Auch in unserem Sprachgebrauch haben wir der Vulva im Laufe der Jahrhunderte subtil ihren Wert abgesprochen. So sprechen wir z.B. von den Schamlippen und Schamhaaren, womit wir die gesellschaftliche Scham reproduzieren. Ebenso ist die Bezeichnung "Scheide" eine Verdinglichung, da das Wort von der Schwertscheide abgeleitet wurde und somit nur einen Behälter für eine wertvolle Klinge (den Penis) darstellt. Die sprachliche Distanz zur Vulva zeichnet sich auch in der inkorrekten Nutzung von Begriffen ab. So wird das Wort Vagina oft benutzt, um die Vulva zu bezeichnen oder Klitoris gesagt, aber nur die Klitorisperle gemeint.




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